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AI & digitale Archivierung: Wer ist der Gute, der Böse und der Hässliche? Podiumsdiskussion – Documation 2025

    Auf der Messe Documation 2025 in Paris diskutierten vier Experten aus den Bereichen Information, digitale Archivierung und künstliche Intelligenz über eine einfache, aber strategisch wichtige Frage: Ist KI ein Verbündeter, eine Bedrohung oder ein unkontrollierbarer Faktor für unsere Langzeitarchivierungssysteme? Unter der Leitung von Clémence Jost, Chefredakteurin des Magazins Archimag, wurden technische, rechtliche, archivarische und normative Aspekte diskutiert.

    Die Referenten:

    • Morgan Attias, Leiter Produktinnovation im Bereich digitale Archivierung.
    • Fabrice Le Gascoin, unabhängiger Berater und Dozent, Spezialist für den Einsatz künstlicher Intelligenz in der Wirtschaft.
    • Édouard Vasseur, Professor an der École nationale des chartes, Experte für Archivistik und die Konzeption von Archivierungssystemen.
    • Jean-Pierre La Hausse de Lalouvière, Vorsitzender eines Berufsverbands, der sich für die Weiterentwicklung der Standards für die digitale Transformation einsetzt.

    Zwischen Hoffnungen und Befürchtungen

    Einleitend erinnert Clémence Jost an die Ergebnisse einer Umfrage aus dem Jahr 2024: 86 % der Informationsfachleute geben an, Angst vor KI zu haben, aber 80 % sind auch optimistisch. Diese Spannung spiegelt die Erwartungen der Branche wider, die zwischen dem Versprechen der Automatisierung und der Angst vor einem Rückgang der Kontrolle und Zuverlässigkeit von Archiven steht.

    Vorteil oder Illusion von Effizienz?

    Morgan Attias eröffnet die Debatte und hebt die konkreten Vorteile der KI für die digitale Archivierung hervor: schnelle Verarbeitung großer Datenmengen, Entscheidungshilfe für nicht fachkundige Nutzer oder die Automatisierung von Aufgaben wie der Indexierung oder Vorabklassifizierung. Er erwähnt auch den punktuellen Nutzen generativer KI für die Erstellung von Skripten oder intelligenten Assistenten, sofern deren Einsatz geregelt ist.

    Fabrice Le Gascoin relativiert diese Aussage. Seiner Meinung nach kann KI zu systemischen Fehlern führen, insbesondere bei der Generierung von Metadaten oder der Klassifizierung von Dokumenten, was zu verfälschten Archiven führen kann. Er warnt auch vor der zunehmenden Komplexität der Systeme, ihrer Abhängigkeit von Technologieanbietern und den damit verbundenen Risiken für die Langlebigkeit der Tools.

    Jean-Pierre La Hausse beleuchtet das Thema aus einer umfassenderen Perspektive und betont die Rolle der KI bei der Demokratisierung von Informationen. In einigen Ländern, beispielsweise in Afrika, ermöglicht die maschinelle Übersetzung den Zugang zu öffentlichen Dokumenten in nicht digitalisierten lokalen Sprachen, was ein wichtiger Hebel für die Archivierung durch Bürger ist.

    Eine Gefahr für die Zuverlässigkeit von Archiven?

    Édouard Vasseur warnt vor einer wachsenden Gefahr: der Verwechslung von authentischen und generierten Inhalten. Deepfakes, KI-Halluzinationen oder erfundene Texte können fälschlicherweise für zuverlässige Quellen gehalten werden. Werden diese Dokumente in Archivierungssysteme integriert, werden sie zu Referenzen – allerdings zu gefälschten. Er betont, dass die Produktionen der KI weiterhin von Menschen überwacht werden müssen.

    Jean-Pierre La Hausse de Lalouvière untermauert diese Idee mit einem konkreten Fall: Ein Anwalt, der eine Cloud für Privatkunden nutzte, sah sein Konto nach einer automatischen Warnmeldung gelöscht und verlor damit alle seine Archive. Vorfälle wie dieser unterstreichen die entscheidende Bedeutung der technologischen Souveränität bei der Wahl von Archivierungslösungen.

    Fabrice Le Gascoin erinnert schließlich daran, dass Tools zur Erkennung von KI-generierten Inhalten unvollkommen und sogar voreingenommen sind. Einige manuell erstellte Texte werden als künstlich identifiziert, während echte KI-Texte unbemerkt bleiben. Dies bestärkt die Vorstellung, dass nur der menschliche Blick zuverlässig ist.

    Wie kann verhindert werden, dass KI zum „Gangster“ wird?

    Morgan Attias betont die Notwendigkeit einer besseren Rückverfolgbarkeit: Jedes Dokument muss eine klare Herkunftskette aufweisen, einschließlich Autor, Datum, verwendetem Tool und eventuellen Änderungen. Er empfiehlt, den Einsatz von KI in Archivierungstools streng zu beschränken, insbesondere die Anreicherung oder Übersetzung ohne menschliche Validierung.

    Jean-Pierre La Hausse de Lalouvière fordert, KI wieder als Werkzeug zu betrachten, als nichts weiter. Er unterscheidet drei Nutzerprofile: diejenigen, die KI ablehnen und sich damit der Gefahr der Obsoleszenz aussetzen, diejenigen, die sie unterschiedslos übernehmen, und diejenigen, die sie bewusst als einen Hebel unter vielen integrieren. Als Beispiel nennt er ein Krankenhaus, das dank einer KI zur Voranalyse von Röntgenbildern Zeit gewonnen hat, ohne dabei auf eine systematische menschliche Kontrolle zu verzichten.

    Wie sieht die Zukunft der KI in der Konservierung aus?

    Für Morgan Attias ist KI vergleichbar mit Smartphones in ihren Anfängen: Heute scheint sie nebensächlich, wird aber schnell unverzichtbar werden. Er fordert eine strenge Regulierung sowohl auf technischer als auch auf rechtlicher Ebene und warnt vor den Umweltauswirkungen generativer KI, die bei architektonischen Entscheidungen berücksichtigt werden müssen.

    Fabrice Le Gascoin betont, dass generative KI, die von Natur aus nicht deterministisch ist, ein echtes Problem der Reproduzierbarkeit darstellt, einem Schlüsselkriterium in der Archivierung. Er merkt jedoch an, dass die Diskrepanz zwischen der Entwicklungsgeschwindigkeit der KI und der von Unternehmen eine Chance sein kann, um in aller Klarheit zu experimentieren.

    Édouard Vasseur identifiziert ein großes Hindernis für die Entwicklung nützlicher KI für die Archivierung: die Unzugänglichkeit von Trainingskorpora aus rechtlichen Gründen. Er plädiert für eine kontrollierte Öffnung dieser Ressourcen für die öffentliche Forschung, um Tools zu entwickeln, die für die Berufe im Bereich der Erinnerung geeignet sind.

    Jean-Pierre La Hausse de Lalouvière schließt mit einer eher geopolitischen Vision: Die Beherrschung der KI ist eine strategische Herausforderung für Europa, das seine Souveränität über kritische Technologien bewahren muss. Er erwähnt auch die bevorstehende Einführung der Quanteninformatik, die ihrerseits das Gleichgewicht, auch im Bereich der Konservierung, grundlegend verändern wird.

    Fazit: Neugierig, kritisch und wachsam bleiben

    Die Referenten sind sich einig: KI ist weder gut noch schlecht an sich. Es kommt ganz darauf an, wie sie konzipiert, eingesetzt und kontrolliert wird. In einem Umfeld, in dem sich die Technologien ständig weiterentwickeln, müssen Fachleute im Bereich der Kulturgüterpflege offen bleiben, testen, korrigieren, sich kontinuierlich weiterbilden und vor allem die erzielten Ergebnisse kritisch hinterfragen.

    Denn über die Werkzeuge hinaus gilt es, eine bestimmte Vorstellung von Erinnerung und menschlicher Verantwortung zu bewahren.